Die Angst

Die Angst

 

Es lebte einmal ein Stamm der mächtigen und furchtlosen Kämpfer. Sie waren so unverletzbar und geschickt im Krieg, dass sie noch nie einen Kampf verloren hatten. Alle hatten Angst vor ihnen: sowohl Menschen, als auch Tiere. Sie lebten von ihren Frauen getrennt, die zu ihrem Aufenthaltsort nicht zugelassen wurden. Die Jagd versorgte sie mit

Essen, die Überfälle – mit den Ausbeuten: Waffen, Kleidern, Gebrauchsgegenständen. Sie erzogen die kleinen Jungs für ihre Ablösung selbst, die ab und zu vor ihren Lagern von den Frauen gelassen wurden, mit denen man ab und zu mal etwas gegen die Natur zu tun hatte.

Einmal hatte die Wache eine Frau entdeckt, die nicht weit vom Kind saß, das nach dem Brauch vor einem Graben liegen gelassen wurde. Es schaute neugierig hin und her, aber versuchte die Mutter nicht außer Sicht zu lassen. Als die Wache sich ihm annäherte, um es abzuholen, zitterte das Kind so sehr und begann so laut zu weinen, dass die Mutter wie ein Vogel zu ihm flog, von allen verdeckt. Nachdem sie es beruhigt hatte, ging sie mehrmals zur Seite. Aber jedes Mal, wenn die Kämpfer sich dem Kind näherten, fiel der Junge vom Schreien fast in Ohnmacht, mit kaltem Schweiß bedeckt. Wahrscheinlich war es die Zeit, etwas in der Ordnung des Stammes zu verändern. So ließen sie die Mutter des Kindes, die erste Frau, die die Grenze des Verbots überschritt, in ihren Kreis hinein.

Und das ungewöhnliche Kind mit wundervoll riesigen, aber oft zugekniffenen Augen war so ängstlich, feinhörig, dass es bei jedem Blätterrauschen, Zweigknistern zusammenzuckte.

Donner und Blitze jagten ihm Angst ein, und die Angst vor dem Tod während der Feuerrituale der Beerdigung von gefallenen Kämpfern brachte es in einen ohnmächtigen Zustand. Für die unzähligen erschrockenen „Ah“ – Schreie wurde es Angst genannt. Man konnte ihm weder Kriegskünste, noch Pfadfinderkünste beibringen, er konnte nicht lernen die

Gefahren zu überwinden, die sein Leben gefährdeten.

Die Frau erwies sich als eine gute Helferin: nach und nach übernahm sie die Haushaltstätigkeiten, begann den Alltag zu regeln, die Gewürze den Gerichten beizumischen, half die Verletzten in den Kämpfen gegen Feinde oder Tiere gesund zu pflegen, sie nahm sogar am Leben der Stammpflegekinder teil. Einen ordentlichen Teil der Sorgen

übernommen, schaffte sie damit die Voraussetzungen für die Entstehung und Entwicklung anderer Tätigkeiten. Jemand mochte Viehzucht, jemand – Landwirtschaft, andere – Töpferei oder das Schmieden. Manche bevorzugten sogar das Handwerk der Kampfkunst. Aber die

Frau brachte auch etwas anderes mit: schwer zu begreifende Vorahnungen, Erwartungen der schlimmen Ereignisse, Bedenken, Besorgnis, Unzufriedenheit, Beschwerden.

Tapferkeit und Mut verschwinden da, wo die Handlungen der männlichen Kraft in der Erziehung ersetzt werden. Die überflüssige Vorsicht oder Behutsamkeit verwandelten sich in Feigheit. Tapfere Menschen gab es immer weniger. Es gab immer weniger Gründe, sein Leben zu riskieren. Dabei vermehrten sich die Anhänglichkeiten an Wohlergehen und

Genuss, Besorgnisse um das Leben, den Haushalt, die Verwandten.

Und dann passierte das, was passieren sollte: die Kinder kamen schon in dem Aufenthaltsort zur Welt. Und nicht nur die Jungs. Angst bekam Geschwister: Schreck, Besorgnis, Feigheit, Panik, die Zwillinge Phobien. Sie alle spürten ganz deutlich die Besorgnisse ihrer Mutter um

ihr Leben, ihren innerlichen Zustand bei den drohenden wahren oder vermeintlichen Notfällen. Direkt nach der Geburt erworbene Gefühle der Unruhe und Angst wurden zum Selbsterhaltungstrieb, sie benachrichtigten über gefährliche Situationen, regten zum Suchen nach einem Schutz an, und manchmal sogar zur Flucht. Denn das half beim Überleben in

dieser unruhigen Welt.

Da floss noch viel Wasser den Berg hinunter. Ängste hatten sich eingelebt, den Lebensraum erobert. Es gab Zeiten, wenn Angst sogar eine große Wirkung auf die Entwicklung eines Kriteriums wie Moral in der Gesellschaft hatte.

Heute ist die Angst vor der Verantwortung für die Moralprinzipien schon längst verloren gegangen. Das allgemeine Gefühl der Unruhe überkam alle, jeder gewöhnt sich an sein Wohlergehen und hat Angst vor den Verlusten, dem Verschwinden seines sozialen Status.

Ängste, Besorgnisse, Schreck unterdrückt, stecken die Leute in den Gefühlen der Einsamkeit, Ablehnung, Niedergeschlagenheit, Gefährdung der Selbstachtung, Empfindung der eigenen Unangemessenheit fest.

In dieser Grube von Ängsten ist die Angst am wichtigsten, die mit dem eigentlichen Wesen eines Menschen verbunden ist. Es ist die Angst vor dem Tod, vor der unerbittlichen Zeit, vor der erschreckenden Sinnlosigkeit des Existierens von einem Menschen selbst.