Глава из книги "Franziskanergasse 1, oder was sich vermeiden liess"
FRANZISKANERGASSE 1, ODER WAS SICH VERMEIDEN LIESS…
Das Treffen am Frankoniabrunnen
Der Tag sollte warm werden. Am azurblauen Himmel gab es keine einzige Wolke. Kaum merklich hatte der Herbst die Ockerfarbe über den Baumblättern verschüttet. Mein Auto auf einem fast leeren Parkplatz vor der Bischofsresidenz lassend, ging ich zu einem berühmten Ort – dem Frankoniabrunnen vor dem Schloss. Da, am Fuß der Frankonia, einer Frauenfigur mit Lorbeerkranz und Fahne, befanden sich drei berühmte Bürger der Stadt Würzburg: der Bildhauer Tilman Riemenschneider, der Maler Matthias Grünewald, der Dichter und Minnesänger Walther von der Vogelweide. Schon seit 120 Jahren fingen sie jeden Morgen mit der Arbeit an: der Eine schrieb die Lieder, der Andere bereitete die Leinwände vor, und der Bildhauer schnitt die Figur seiner lieben Madonna weiter aus.
- Grüß Gott! – eine unerwartete Anrede ließ mich zusammenzucken. Der Bildhauer Riemenschneider lächelte mir freundlich zu.
- Grüß Gott, Meister! – antwortete ich etwas verblüfft.
- Ich beobachte dich schon nicht zum ersten Mal. Ich will nicht verhehlen, dass es ziemlich angenehm ist, dass du den
Rundgang um den Brunnen herum von meiner Seite aus beginnst. Anscheinend kennst du mich!
- Sie haben
Recht, Meister! Schon seit 15 Jahren erforsche ich Ihre Kunst mit Hilfe der Bücher. Ich schnitze selbst auch, was für mich zum Sinn des Lebens geworden ist. Ich bin zum zweiten Mal in Würzburg,
ich reise nach Franken, um Ihre Meisterwerke mit eigenen Augen zu sehen, sie anfassen zu dürfen. Vor vier Jahren bin ich zum ersten Mal hier gewesen. Davor habe ich keine Möglichkeit gehabt,
wahrscheinlich bin ich im Inneren noch nicht reif genug für ein Treffen mit Ihnen gewesen. Jetzt habe ich auch meine eigenen Werke, darunter gibt es viele nach Motiven Ihrer Schöpfungen. Mit
einigen Werken bin ich zufrieden gewesen, einige halte ich für Dilettantismus. Ich verstelle mich nicht, aber es fällt mir wirklich schwer, meine eigene Arbeit zu bewerten. Natürlich würde ich
gerne die Meinungen über das Gemachte erfahren, und nicht nur die begeisterten Ausrufe der Verwandten hören. Ein paarmal hat man mich doch überredet, meine Werke auszustellen. Wie viele
innerliche Zweifel und Sorgen hat es mich gekostet. Anscheinend bin ich kein öffentlicher Mensch. Mit meiner inneren Akzeptanz kann ich weder Lob noch Kritik ruhig annehmen. Höchstwahrscheinlich
ist es mein Hochmut. Ich bevorzuge immer die Einsamkeit, sie ist mir lieber als die möglichen verächtlichen Anmerkungen oder die Bewertungen eines Unwissenden.
- Ja, daran kann ich mich auch erinnern, da musste ich auch durch. Aber es ging mir nur bis zu dem Moment so, als ich das von mir Erschaffene als meine eigene Schöpfung wahrgenommen habe. Als ich
begriffen habe, dass ich nur ein Werkzeug Gottes bin, dass die von mir gemachten Skulpturen nicht meine sind, sondern mit Seiner Hilfe erschaffen,
ergab alles einen Sinn. Unser Schöpfer gibt uns die Möglichkeiten des Kunstschaffens, die Möglichkeit solche Prototypen in einem Material zu verwirklichen und sie sichtbar zu machen, die uns in
den Phantasien geschickt werden und sich zeigen. Seit dem Zeitpunkt sind meine Werke Ihm zu Ehren. Als Künstler erschaffen wir die Gestalten, wir sind gefordert wenigstens etwas in seiner Form
festzuhalten, was länger leben wird als wir selbst, - lächelte der Bildhauer. – Eine Gestalt entsteht in der Seele eines Künstlers doch nicht zufällig schon lange vor dem Moment, wenn sie
sichtbar wird und materielle Züge bekommt. Ist es die Arbeit der Seele, des unterschwellenden Geistes, oder sind das die Schwingungen, die von oben durchdringen? Du wirst bestimmt einverstanden
sein, dass es viele Leute gibt, die von der Natur her tief und stark die Schönheit der Welt fühlen und die hohen, edlen Gestalten in ihren Seelen tragen. Und wie viele von denen ihren Weg nicht
finden können, um Ausdruck für diese Gestalten zu finden, sie ausführen und ausdrücken zu können. Um damit den Menschen Freude zu ermöglichen. Der Grund dafür ist, dass die Geduld und der Fleiß
zum unverzichtbaren Teil unserer Kunst gehören. Die Geduld während der Arbeit ist nicht das Streben eine entstandene Idee so schnell wie möglich zu arbeiten, sondern auch das Verständnis der Ruhe
dazwischen, als eine Vorbereitung auf den nächsten Schritt. Wenn deine Hand vom Zusammendrücken eines Meißels eingeschlafen ist, deine Schulter sich versteinert hat, dein ganzer Körper schreit,
alle Muskeln nur davon träumen, sich lockern zu können, aber die Arbeit dich verschlungen hat, - dann kannst du dein Schaffen einfach nicht mehr steuern. Er ist nicht nur in deinen Händen, er ist
in dir selbst, in deinem Körper.
- Wie wahr! Ich habe wirklich keine Geduld, um meinen Händen einen
vollwertigen Urlaub erlauben zu dürfen. Der Wunsch die Arbeit so schnell fertigzustellen ist so groß, dass es kaum möglich ist, den Prozess zu unterbrechen. Er ignoriert einfach die versteinerten
Muskeln mit dem in einer Hand zusammengedrückten Meißel, den Körper, seinen natürlichen Erholungsbedarf. Man will das Ergebnis so schnell wie möglich sehen.
- Mein Freund, was ist die Ungeduld, wenn nicht die Zügel in den Händen der Starrheit? – schmunzelte der Meister mit
Verständnis. – Die Starrheit erkennt keine Müdigkeit an. Das weiß ich aus eigener Erfahrung: die neuen Gestalten, hinaufgeklettert, reißen mit und man spürt eine beunruhigende, quälerische
Überwältigung des Herzens. Man beeilt sich, es der Welt zu offenbaren, dass man nichts mehr hören will! Warum wundert man sich dann, wenn die Sorgen mit dem Herzen, den Gelenken und dem Gehör im
Alter auftauchen. Der Meister dachte nach.
Ich traute mir nicht zu, sein Schweigen zu unterbrechen. Es schien so zu sein, als ob seine Worte auch das Interesse der Denkmalnachbarn erweckt hatten. Der Maler Grünewald schaute von seinem Bild weg, der Minnesänger Vogelweide hörte auf, den Bart mit seiner Faust abzustützen, seine eingeschlafenen Schultern streckend.
- Um im hohen Alter nicht einsam und enttäuscht zu werden, - führte Riemenschneider fort, - muss man seine Starrheit bezähmen, sowie den Hochmut auch. Wegen ihnen vermeidet der Mensch jegliche
Veränderungen in sich, will sein Lebensverständnis nicht ändern, verliert jedes Maß, das Taktgefühl, das Interesse der Umgebung zu sich selbst. Ich habe meinen Schülern mehrmals gesagt: das
Wichtigste ist es, dass sie nicht in die Verführung ihrer Kunst, ihrer Einzigartigkeit geraten. – Der Meister richtete sich die Haare, eine Haarsträhne unter den Hut versteckend. – Ich verehrte
den Schöpfer schon immer als vollkommen. Und Sein Werk wird von uns Menschen verzerrt. Wir sehen nur die Ungerechtigkeit und das Vorhandensein des Bösen und das, was die Lebens- und Naturharmonie
verletzt. Diejenigen, die unzufrieden sind, murren und verurteilen, stellen damit Ansprüche an den Schöpfer. Und so sieht es dann aus: je mehr Schlechtes wir um uns herum merken, desto mehr
sammeln es sich in uns selbst an. Je weniger Ansprüche wir haben, desto heller und edler wird der Mensch, desto leichter ist es, in seiner Nähe zu sein. Ich glaube, du nimmst meine Worte nicht
wie das Meckern eines Alten wahr, oder?
- Nein! Natürlich nicht! – beeilte ich mich zu antworten.
Der Meister Tilman legte die Madonnenfigur, den Meißel zur Seite, schüttelte die Späne von der Schürze ab. – Weißt du, ein Künstler, sei es ein Bildhauer, ein Maler, ein Kupferstecher, ein Goldschmied, war in unserer Zeit ein Handwerker. Die Bildhauer, zum Beispiel, gehörten nicht zu den „Schöpfern des Feinen und Schönen“ sondern zählten zu einer Gilde zusammen mit den Holzarbeitern und Steinmetzen. Selbst die Arbeit mit dem Stein galt nicht als angesehen, sondern als ein hartes Handwerk, obwohl die Meisterwerke in so einer Art entstanden sind. Der Italiener Michelangelo brachte der Bildhauerkunst ihren Ruhm und Glanz, die seit der Antike verloren waren, zurück.
Der Meister schaute die Madonnenfigur mit Liebe an. Die Frau, deren Lieblingszüge er in eine Holzskulptur übertragen hatte, existierte schon lange nicht mehr. Aber in seinem Kunstwerk eingeprägt, blieb sie für immer schön mit ihrem ungewöhnlichen traurigen Lächeln. Jahrhundertelang werden die Leute sie bewundern, weil der Bildhauer seine ganze Zärtlichkeit, Bewunderung und Sehnsucht eines liebenden Menschen in ihr Gesicht, ihre Figur und Hände aufgeboten hatte.
- Vielleicht verstehst du meine Gefühle in dem Moment, wenn alle Arbeiten beendet, weitergegeben oder aufgestellt sind. Sie bringen schon Freude den Anderen, sammeln Lobreden an meine Adresse
gerichtet, und ich sehe auf einmal das, was sich nicht mehr umändern oder korrigieren lässt. Obwohl, da verstelle ich mich eher auch: ich will sie nicht einfach so loslassen, meine Kinder, zu
denen ich schon so eine Zuneigung gefasst habe, dass ich nach ihrem Fortgehen eine entleerte Seele spüre, genauso wie meine Werkstatt. Je stärker die Ergebenheit, desto niedergeschlagener ist
man. Vielleicht ist es die Achillesferse jedes Künstlers.
- Ich hatte noch keine so großartigen
Kunstwerke wie Sie. Im Allgemeinen haben keine Parkfiguren oder Kleinplastik solche Emotionen hervorgerufen. Aber Sie haben Recht: es gibt solche Kunstwerke, an denen man, wie man sagt, Gefallen
gefunden hat. So bleiben sie in meiner Nähe… zu Hause. Und die bemerkten Fehler beim Kunstwerk, die andere Leute nicht merken, bedrücken in der Tat. Es ist schwer einzugestehen, dass es
wahrscheinlich der Charakter ist, der quält. Ich knüpfe Freundschaften nicht so leicht, obwohl ein Künstler für mich immer sehr interessant ist.
Ich beobachtete die genauen Bewegungen des Meißels. Jetzt liefen die Finger des Meisters scharfe Linien des sich offenbarenden Gesichts entlang, als ob sie jeden Strich mit der, im Herzen eingeprägten, nahen Gestalt verglichen, das süße wehmütige Gefühl des vergangenen Tastsinnes in Erinnerung rufend. Anscheinend wurden seine genialen Kunstwerke nur mit so einer herzlichen Empfindung erschaffen. In so einer geheimnisvollen Art wurde auch die unvergessliche Madonna geboren.
- Ich wollte sagen, - unterbrach der Holzschnitzer das Schweigen, - wenn du deine Finger einfach loslässt, blindlings, werden sie unbedingt die Züge eines immer gleichen, von dir geliebten Gesichts dem Holz entlocken… der Mutter oder deiner ersten Frau… Schau dir deine Werke genauer an. Bestimmt wiederholen sich diese Züge bei den unterschiedlichen Figuren. Es hinterlässt die Spuren.
Ich wollte unbedingt rauchen. Ich konnte diese Gewohnheit nicht loswerden, obwohl ich ihre Schädlichkeit verstand. Anscheinend hatten mich die Worte des Meisters getroffen. Er hatte das gesagt, was mir selbst schon mehrmals eingefallen war. Ich hatte plötzlich die Gesichtszüge meiner ersten Liebe im Gesicht einer Skulptur entdeckt. Und alle Frauenfiguren wiederholten ohne Zweifel meine langjährige Lebensgefährtin mit ihren Kurven, Schenkeln, Schultern. Ich merkte, dass der Meister mich mitleidig anschaute. Wie gut hatte er es ohne Tabak und diese Leidenschaft, die weder Vernunftbeweise, noch die jedem eigene tierische Angst vor Krankheit anerkannte.
- Mein Freund, glaubst du an die Wiedergeburt? – überraschte mich der Meister Tilman mit seiner Frage. – Hast du daran gedacht?... Wie ich es damals
verstanden habe? Wie eine Empfindung, dass ich schon früher gelebt habe. Ich bin nie ferner als am Bodensee gewesen, aber in meinem Gedächtnis, öfter in den Träumen, war es, als ob ich das
grenzlose Meer schon gesehen habe, riesige Wellen beim Unwetter beobachtete, die sogar auf einem so großen See nie hätten entstehen. Diese Wellen schlugen wie in einem Wutanfall gegen die weißen
Felsen, kochten vor Empörung und der Unmöglichkeit die großen Kiefern an ihren Wipfeln zu erreichen. Nächstes Mal schmeichelten sie am Bergfuß, plätscherten, die Küstensteinchen gerührt, die
glänzenden Sonnensteinchen des Holzharzes in ihnen versteckt. Und das gegenüberliegende Ufer habe ich sogar bei klarem Himmel nicht gesehen.
Alle haben sich gewundert, woher ich schon von Kindheit an alles über die Bäume, ihre Struktur, den Charakter ihrer
Fasern wusste. Meine Hände erinnerten sich an die Arbeit mit dem Holz, und meine Phantasie malte irgendwelche aus Holz geschnittene Figuren der strengen Idole. Wieso habe ich es so gemocht, auf
die Hügel zu klettern, um den besondere Lufthauch von der Nordseite aufzufangen?
Wir bestehen aus vielen
Möglichkeiten: unsere Hände erschaffen, das Sehen enthüllt die Gestalten, die sowohl in unserer Seele eingeprägt sind, als auch die Neuen um uns herum, das Herz drückt die Liebe aus. So
verwirklichen die Seelen ihr gesammeltes künstlerisches Potenzial. Unsere ewigen Seelen… Wir beginnen das in der Seele eingelegte Abbild, obwohl wir deutlich verstehen, dass wir die strahlende
Gestalt des Schöpfers oder der Heiligen mit einem Meißel nie vollkommen wiedergeben können. Damit bekommen wir eine Möglichkeit dem Göttlichen, das in uns veranlagt ist, ein wenig näher zu
werden. Wir realisieren uns, die vergeistigte Kunst schaffend, die mit dem Ehrgeiz oder der Begierde nicht befleckt ist, wir hinterlassen etwas, was uns überlebt. Das Nichterfüllen passiert, wenn
nur einfach nette, wunderschöne, aber nicht durchgeistigte Sachen geschaffen werden, auch wenn sie meisterhaft als Freude für alle Kunstliebhaber ausgeführt sind. Sie können sogar die Kirchen
schmücken, aber sie sind keine wirklichen Seelenwiderspiegelungen, sie werden nicht heilig. Ist dir etwas Ähnliches bekannt? Du hast mehrere Skulpturen geschaffen. Und wenn eine von denen dir
wirklich gelungen ist, dann heißt es, dass du eine der Gestalten, die im Seelengedächtnis eingeprägt sind, meisterhaft ausgedrückt hast, du hast dich realisiert. Die Natur legt ihre Begabung
nicht in jede Seele hinein, nur in eine reife, von den vorherigen Leben vorbereitete. Dass der Mensch seine edle und einzig sinnvolle Bestimmung erfüllen könnte. Für einen schöpferischen Menschen
ist es fast die Verewigung der Lebensvergänglichkeit, die in Stein, Holz oder den Bildern verwirklicht ist. Denn die von einem Künstler geschaffene Gestalt bleibt für immer unverändert.
Ein Hustenanfall unterbrach ihn. Ein professionelles Merkmal eines Steinmetzen. Der Steinstaub, so wie auch der Holzstaub legt sich in erster Linie auf die Person, die ihn mit einem Meißel oder Stichel hervorgerufen hatte. Eigentlich war es wie alles andere, das von ihnen geschaffen wurde und sich über kurz oder lang auf unsere Köpfe setzte.
Nach einer Weile führte der Meister fort.
- Es passiert in folgender Weise: die Seele kommt mehrmals auf
diese Erde, um Aufgaben zu bekommen, das heißt, dass noch nicht die ganze Lehre richtig durchgenommen wurde. Oder es gibt vielleicht noch eine Unmenge an Arbeit?! Die Seelen, die sich nicht mehr
verwirklichen, setzen sich wahrscheinlich beim himmlischen Vater in Seiner Herberge zur Ruhe. Das sind die Seelen, die geschwebt haben, nicht mit dem Wissen gefüllt, sondern mit den gesammelten
Erfahrungen von dem richtigen Zusammenwirken mit der Welt, mit der Umgebung in Liebe und Freude, die Leichtigkeit gewonnen. Wenn sie die ganze Welt in einem Atemzug fassen können, wenn es keine
Ansprüche mehr gibt, denn da hast du die Vorsehung und die Vollkommenheit der geschaffenen Welt endlich begriffen.
- Ich habe nie daran gedacht. Obwohl wenn man es sich überlegt, habe ich schon mehrmals gefühlt, als ob meine Seele
mir ein Zeichen gibt, dass nicht alles so leicht in diesem Leben zustande kommt.
Ich dachte darüber nach. Vielleicht erwartete die Seele wirklich die Änderung der Meinung, der Ereigniswahrnehmung, des Verständnisses und der Akzeptanz der Umgebung in seiner nicht so einfachen
Wirklichkeit. Am Tage war sie ein Bote der Vernunft, ein Geselle, der seine Kenntnisse oder sogar die gewonnene Erfahrung seiner früheren Verkörperungen in die Tiefe des Unterbewussten versteckt
hatte. Und in der Nacht nutzte sie die Zeit, wenn die mit den Ansprüchen an alles überlastete, vom Fernseher ermüdete Vernunft in tiefen Schlaf sank, und riss sich in die Freiheit los… suchte in
den Träumen die, für die sie auf diese Welt als Unterstützung geschickt wurde… oder sie suchte nach den Lehrern…
Das waren diese Momente, wenn der Hochmut – die Geißel der menschlichen Zivilisation – mit der Vernunft zusammen auch
schlummerte.
- Die Seele versucht mit uns durch unsere nächtlichen Träume zu sprechen, - sagte der Meister, als ob er meine Gedanken gelesen hatte. – Und was ist mit den bedrückenden Alpträumen? Vielleicht versucht die Vernunft sie in ihren festen Netzen trotzdem festzuhalten, und sie reißt sich los, verletzt sich…
Ich wusste nicht, was ich antworten sollte. Es war so ungewöhnlich, eigene Gedanken laut auszusprechen. In der Tat gab die Seele ein Zeichen, empfand Schmerz von allen in ihrem Bewusstsein eingeprägten Gestalten der Gewalt aus den Thrillern, Lieblingswestern, Fernsehnachrichten. Aber einige Bilder, wie Rettungsringe, tauchten sogar in unseren Alpträumen auf und ließen uns zu den Kindheitserinnerungen zurückkehren… zu diesem Zustand eines Kindes, als du es deutlich gespürt hattest, dass du ohne den Vater – den Anführer der menschlichen Seelen – nicht existiertest. Allein fand man keinen Weg aus diesem Grauen. Die klare reine Wahrnehmung eines Kindes war die Erwartung von Hilfe und die Hoffnung auf die Rettung durch Elternfiguren, getroffenen Erziehern oder noch nicht bekannten Lehrern für das Leben. Wenn man noch irgendwelche Anforderungen an die Eltern hatte, ihre Handlungen verurteilt – wo sollte man sonst nach einem Zufluchtsort suchen? Bei Gottvater? Und wenn man keinen rettenden Glauben besaß? Man hatte kein Verständnis, dass alles nach der Vorsehung passierte, dass alles in dieser Welt von dir verdient war und nicht nur in dieser Verkörperung.
- Man muss glauben! – sagte der Meister überzeugt. – Es ist wie ein Stiel. Er unterstützt dich nur dann, wenn du dich in deinen Gedanken nur nach oben zum Allerbarmen, das Wohl gegebenen
richtest, und keine Güter in der Umgebung suchst. Aber glaub mir: die Vernunft versucht das Glauben mit ihren nüchternen Urteilen, ihrem Spott und ihrer völligen Verneinung niederzudrücken. Der Vernunft scheint es, dass sie die Verschüttung der dummen unbegründeten Meinungen aufräumt, sie bildet sich in den Bewertungen der
Ereignisse und der menschlichen Handlungen zu viel ein, beurteilt unerbittlich. Ihr fällt aber nicht ein, dass ihre Unreife, ihre Abhängigkeit vom gewöhnlichen Denken und Handeln, die zäh in den
Rahmen der Überzeugungen halten, die in der Regel von der Erziehung oder Umgebung aufgezwungen werden, sich genau in dieser Tatsache offenbaren. Aber wenn die Seele sich von diesem gewöhnlichen
Denken und Handeln befreit, wird es leichter, sie schwebt mit den Flügeln, die ihr zu Hilfe kommen. Und von oben sieht man die Erde wie einen einheitlichen Mechanismus, wo es keine Länder,
Völker, Teilung in Fremde, Zugewanderte und Einheimische gibt, es gibt auch keine falsch verstandene Vaterlandsliebe.
Riemenschneider nahm seinen Meißel in die Hand, mich dabei anlächelnd.
- Können wir es wissen: vielleicht bist du meine nächste Verkörperung? Und wer weiß, was du zu den Eigenschaften
unserer Seele hinzufügst: Geduld, Toleranz oder Hochmut. Am Ende meines Lebens hat meine Seele vielleicht Liebe und Lebensfreude verloren – das heißt, das muss sie wieder neu lernen. Darunter
auch Geduld, Liebe, und die Fähigkeit weder die Eigenen noch die Fremden nicht streng zu beurteilen. Jeder Mensch kam für eine persönliche Lehre in dieses Leben, um sich in vollster Weise zu
realisieren.